youmeandtheviolence hat geschrieben:Ja, das geht gut. Hatte anfangs auch nur bedingt Lust drauf, mich nun "anzustrengen", aber es gibt halt auch immer mal wieder etwas Humor und die Handlung ist auch nicht allzu komplex. Außerdem hat man die wichtigsten Charaktere schnell drin.
Tatsache. Ließ sich sogar gut hintereinander weg gucken, so dass ich mittlerweile durch bin.
Sigh.
Dass man bei nem Simon-Projekt kein Happy End erwarten kann, ist ja eigentlich klar, aber mich hat Wasicskos Schicksal am Ende echt mitgenommen, auch wenn oder wahrscheinlich gerade weil es mit der Zeit immer absehbarer wurde. Denn eigentlich ist es ja eine Tragödie mit Ansage, wie er – anfangs noch so wunderbar unbekümmert und naiv-rechtschaffen als frischgebackener Mayor – so ewig lange gegen Windmühlen ankämpft, dabei selbst erst spät, quasi im Nachhinein an die (moralische) Richtigkeit seiner Taten zu glauben beginnt und am Ende trotzdem nicht die so tief ersehnte Anerkennung bekommt, die ihm gebührt, sondern vielmehr nach und nach von seinem innigen Wunsch nach Wertschätzung und seiner tief sitzenden Angst vor der Bedeutungslosigkeit zerfressen wird. Denn schon in den ersten Folgen merkt man ja immer wieder, wie sehr er sich durch den Respekt und die Zuneigung anderer definiert und sein Selbstvertrauen lediglich aus politischen Erfolgen zu speisen scheint.
Man hört, sieht und liest ja immer wieder von rücksichtslosen, korrupten Politikern, die über Leichen gehen, oder – wie hier Spallone & Co. – so lange Entscheidungen blockieren, bis ganze Städte nahezu bankrott gehen, aber kaum jemand außer Simon beschäftigt sich so ausführlich mit der ganzen Maschinerie drumherum, die einen überhaupt erst so weit korrumpiert, dass man die eigenen Prinzipien irgendwann völlig über Bord wirft, den Job/Ruf der eigenen Frau bewusst aufs Spiel setzt und am Ende sogar gegen die beste Kollegin und quasi letzte verbliebene Verbündete antritt. (Übrigens, Winona Ryder hier:
)
Wasicskos zunehmend verzweifeltes Verhalten nach dem ganzen Housing-Debakel und seinen Wahlschlappen kann man dabei eigentlich nie wirklich verurteilen, weil hier schon über die gesamte Staffel hinweg so viele kleine, aber wichtige Charaktermomente gestreut werden, die in der Summe dann eben dafür sorgen, dass man vielmehr durchgängig Mitgefühl für ihn empfindet. Der Wahnsinn, was Oscar Isaac insbesondere aus all den Szenen/Momenten, in denen der arme Kerl alleine und/oder unbeobachtet ist, alles herausholt – sei's nun beim Unverwundbarkeit-Üben vorm Spiegel oder beim hilflos wirkenden Handwerken im neuen Traumhaus, außer sich vor Freude über die Courage-Award-Nominierung oder als stiller Zuschauer bei der Wohnungslotterie, bei den regelmäßigen Besuchen des Grabs seines Vaters oder eben während seinem Nervenzusammenbruch im heimischen Chaos. Ich frage mich echt, ob die Tatsache, dass mich Wasicskos Entwicklung zum Ende hin wesentlich mehr berührt und fasziniert hat als all die anderen Einzelschicksale in der Serie, allein Isaacs Verdienst ist oder ob da (ironischerweise) nicht vielleicht auch ein Funken latenten Rassimus dahintersteckt. Jedenfalls fiel's mir sehr viel leichter, mich mit ihm zu identifizieren, als bsw. mit Billie und ihrem Freund.
Und ja, die ganze Kontroverse um das Housing-Projekt wirkte tatsächlich erschreckend aktuell und lebensnah, was sich bei mir auch darin äußerte, dass ich stellenweise kurz irritiert darüber war, warum die Leute eigentlich so komische 80er Jahre Klamotten tragen.
Wenn man nicht ganz genau wüsste, dass das alles auf wahren Gegebenheiten basiert, würde man manche Szenen wahrscheinlich echt für viel zu übertrieben halten. Bis man halt die Zeitung aufschlägt, den Fernseher einschaltet oder einfach bloß das Haus verlässt und realisiert, dass es in der realen Welt da draußen (immer noch!) gar nicht anders zugeht. Fand daher auch den einen Kommentar von Sussman(?) wunderbar treffend: "I swear, every time I worry I'm getting too cynical, I see I'm not even keeping pace."
Interessant auch, wie Judge Sand zu Beginn der Serie für das Publikum eigentlich fast der einzig Vernünftige in der ganzen Angelegenheit ist, während er für fast jede andere Figur eigentlich DER große Dorn im Auge, also quasi fast der Villain schlechthin, ist. Denn Wasicso mag ja anfangs richtig handeln, aber nicht, weil er wirklich von der Richtig- und Wichtigkeit des Housing-Projekts überzeugts wäre, sondern schlicht und ergreifend, weil er an das Gesetz glaubt und keinen Sinn darin sieht, sich in so einer aussichtslosen Situation dagegen aufzulehnen. Im Endeffekt wird ihm selbst ja erst mit der Zeit bewusst, dass es bei der ganzen Sache auch um Menschenleben geht.
Und man selbst lernt bei dem Ganzen ja auch noch so ganz nebenbei unheimlich viel über Dinge, von denen man vorher kaum bis gar keine Ahnung hatte: über die verzwickten Prozesse in der US-Lokalpolitik, die Denkweise von Stadtplanern, wie man die besten Voraussetzungen für Integration schaffen kann, etc.pp. Was ich auch extrem interessant fand: warum bei der Townhouse-Lotterie und auch den vielen anschließenden Meetings fast ausschließlich Frauen anwesend waren. Kam mir zunächst nämlich etwas seltsam vor, aber als Doreen im Gespräch mit Mary gegen Ende die Erklärung dafür bot, fielen mir die Schuppen von den Augen, weil das natürlich totalen Sinn macht, wenn man sich mal in Erinnerung ruft, wie unfassbar viele junge schwarze Männer aus sozial schwächeren Schichten in den USA im Gefängnis sitzen oder jederzeit dort landen könnten.
Mary empfand ich anfangs noch als etwas ungelenk eingeführte Figur, was im Nachhinein aber wohl hauptsächlich daran lag, dass ich Catherine Keeners bekanntes Gesicht einfach nicht mit dieser irritierenden Salt’n’Pepper-Frisur in Einklang bringen konnte (oder wollte). Letztlich hat mich ihre zwar vorhersehbare, jedoch angenehm subtil und schrittweise inszenierte Kehrtwendung aber definitiv versöhnt. Toll, wie das Townhouse-Projekt sie immer mehr mit Doreen zusammenschweißt und die beiden am Ende wie ganz normale Freunde gemeinsam auf deren Terrasse rumhängen.
Als Figur sehr interessant fand ich auch Norma, weil sie auf der Projects-Seite allein durch ihr Alter schon ein bisschen herausstach und man bei ihr eben so wunderbar merkte, wie stark ihre Generation die Rassentrennung bereits internalisiert hat. Nämlich so sehr, dass sie sich selbst in vermeintlich harmlosen und ungefährlichen Situationen in ihrer neuen Nachbarschaft wie bei ihrem Besuch des Restaurants im Finale immer noch unsicher und nicht willkommen fühlt. In ihr steckt schon so viel von Segregation und Rassismus geprägte Lebenserfahrung, dass sie gar nicht anders kann, als die neuen Entwicklungen in der Stadt mit Argwohn und Misstrauen zu beobachten. Dass sie tatsächliche Veränderungen in den Menschen um sie herum (sei’s nun bei Mary oder der Pudeldame) nicht mit eigenen Augen miterleben kann, macht’s natürlich nicht einfacher für sie.
Und immerhin gab’s für Carmen und ihre Kids ein richtiges, wenn auch verspätetes Happy End. Wie sie am Schluss endlich mal ihre neuen Töpfe auspacken kann… *schnief* (Ich hab ja zuerst befürchtet, sie hätte Billies Wohnung angeboten bekommen, nur um sie dann wegen deren Einspruch doch nicht zu kriegen.)
Doch, wirklich tolle Miniserie, die wieder mal deutlich macht, welch großartige Geschichten man in nur sechs Folgen erzählen kann. Beeindruckend auch, wie passend sie die vielen, vielen Rollen besetzt haben, ohne allzu sehr vom „Original“ abzuweichen. Mag das ja immer unheimlich gerne bei solch wahren Geschichten, wenn im Abspann nochmal Schauspieler und reale Figur einander gegenübergestellt werden.
Noch ein paar random thoughts:
- Haben wir eigentlich je etwas mehr über Wasicskos Vater und ihre Beziehung zueinander gelernt? Die muss ja schon recht speziell gewesen sein, um ihn so zu prägen…
- Dieser eine resignierte Typ mit komischem Schnurrbart von der NAACP, mit dem Sussman sich im Piloten auf der Toilette unterhält, und der später nochmal kurz bei der Townhouse-Eröffnungszeremonie(?) auftaucht: War das auch ein The-Wire-Alumni? Der kam mir so unglaublich bekannt vor, konnte ihn aber leider überhaupt nicht einordnen. Aber ja, definitiv schön zu sehen, wie Simon immer wieder auf seinen alten Schauspieler-Pool zurückgreift, insbesondere bei Leuten wie Michael Potts und Melanie Nicholls-King.
- Dass so jemand wie Luke Kirby vor der Kamera so oft Anwälte in anspruchsvollen Dramen verkörpern würde, hätte ich auch nicht gedacht. Steht ihm aber ausgesprochen gut!
- Ich hab jetzt nicht ganz auf dem Schirm, wie viele Jahre die ganze Story nun insgesamt umfasst hat, fand’s aber echt sehr elegant gelöst, wie man hier allein anhand der vielen Babies/Kinder in der Serie auch ohne explizite Zeitsprungansagen immer ganz genau wusste, wenn mal wieder mehrere Monate vergangen sein mussten.
youmeandtheviolence hat geschrieben:Storytechnisch bin ich die finalen beiden Episoden sehr gespannt auf die Verknüpfung zwischen Rathaus und Sozialwohnungen. Bisher laufen die ziemlich parallel voneinander. Das wäre auch mein einziger Minikritikpunkt aktuell, dass das noch etwas heterogen wirkt.
Und? Zufrieden? Verstehe ja total, was du meinst, finde aber, dass die Tatsache, dass die Storylines so getrennt voneinander abliefen und die Townhouse-Leute alle (bis auf Norma) auch überhaupt keine Ahnung hatten, wer Wasicsko eigentlich ist, im Grunde nur nochmal verdeutlicht hat, wie ausgeprägt die Rassentrennung damals in Yonkers eben war.